Burgerbibliothek Bern u.a. (Hrsg.): Das Herbarium des Felix Platter

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Titel
Das Herbarium des Felix Platter. Die älteste wissenschaftliche Pflanzensammlung der Schweiz


Herausgeber
Burgerbibliothek Bern; Dauwalder, Lea; Lienhard, Luc
Erschienen
Bern 2016: Haupt Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
von
Dorothee Rippmann Tauber, Historisches Seminar, Universität Zürich

In der berühmten Romanfolge des studierten Arztes François Rabelais lässt der Held Gargantua seinen Sohn die Pflanzenkunde lernen, er soll u.a. im Freien botanisieren, wie Rabelais es aus eigener Erfahrung in Montpellier kannte. Diese (nicht nur fiktive) Lernform ist geprägt durch eine Umwandlung von einer für die Humanisten charakteristischen schriftlichen Wissenskultur in eine auf Visualität rekurrierende. Ein kostbares Zeugnis der neuartigen akademischen Schulmethode ist das Herbar des Basler Stadtarztes Felix Platter (1536 –1614), das älteste in der Schweiz überlieferte und eines der weltweit ältesten überhaupt. Einst noch umfangreicher (18 Bände, mit ca. 1800 Pflanzenarten), umfasst es heute acht Bände, während das Herbar des Bolognesers Ulisse Aldrovandi 15 Bände mit circa 5000 Pflanzen umfasste. 1 Der erwähnte Wandel der Wissenskultur ging einher mit der Neuorientierung des Medizinstudiums. Seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts war, von Italien – Bologna, Padua, Pisa (Luca Ghini) – und Montpellier (Guillaume Rondelet) ausgehend, eine Lernkultur gefördert worden, gemäss welcher das Medizinstudium nicht nur aus Lektüre (Galen, Dioscorides usw.) und Vorlesungen besteht, sondern der Student sein Wissen zu vertiefen hat, indem er auf Exkursionen und in Gärten geht, Pflanzen sammelt, sie presst und konserviert, so wie das der junge Platter seit Beginn seines Studiums in Montpellier tat. Er lernte die Herbartechnik von Rondelet und lehrte sie später seinen Studenten, unter ihnen Caspar Bauhin (1560 –1624, in Basel Professor für Anatomie und erster Professor für Botanik in der Schweiz), von dem das zweitälteste Herbar der Schweiz stammt (4000 Arten repräsentierend).

Der hortus siccus, das Herbar, ergänzte die Kräuterbücher, und von Italien aus entwickelte sich der universitäre botanische Garten (hortus medicus) zu einem zentralen Ort botanischer Wissenschaft, so in Basel auf Veranlassung Caspar Bauhins seit 1589. Für den Unterricht war das Herbar zu unhandlich, doch eignete es sich für das individuelle Lernen. Es war gleichzeitig eine Erinnerung an die Stationen der Feldforschung und eine Bestimmungshilfe. Mediengeschichtlich gesehen, handelt es sich um einen komplexen Wissensspeicher, der in gebundener Form Originalobjekt, Schrift wie auch Abbildungen vereint. Platter gab sich nicht damit zufrieden, Pflanzen – wenn nötig wie z.B. bei den neuweltlichen Arten der Sonnenblume, der Topinambur oder der Paprika – zu beschneiden, zu pressen und auf Papierbögen (mit Tragantgummi?) aufzukleben. Da die Farbe der gepressten Pflanze mit der Zeit verblasste, bildete, wie Platter erkannt hatte, die Repräsentation im Medium kolorierter Federzeichnungen und Holzschnitte, u.a. von David Kandel, eine «authentischere» Erinnerung an die (rechts auf die Doppelseite aufgeklebte) Lebendpflanze, der er die Abbildung jeweils gegenübersetzte. Abbildungen beschaffte sich Platter aus den Werken von Kollegen. In der Geschichte der Pflanzendarstellung markieren die rund 80 kolorierten Zeichnungen von Hans Weiditz d. J. (1495 –1536) eine Wende; sie sind naturgetreu gestaltet, aus künstlerischer und botanisch- historischer Sicht eine Sensation (S. 46). Platter kam in ihren Besitz, als er einen Teil des Nachlasses des Zürcher Stadtarztes Conrad Gessner erwerben konnte. Die Zeichnungen schnitt er aus den Papierbögen sorgfältig aus, um sie ins Herbar integrieren zu können. Andere Aquarelle gab er bei Künstlern in Auftrag, wobei Hans Hug Kluber, Hans Bock d. Ä. und der Glasmaler Hieronymus Vischer infrage kommen, eventuell Platter selbst, wie Lea Dauwalder und Luc Lienhard vermuten.

Wie die Pflanzenillustrationen und die schriftlichen Einträge zeigen, haben sich in den zu Lebzeiten Platters gebundenen Herbarbänden verschiedene Zeitschichten und Benützungsspuren abgelagert. Während die Illustrationen für die damals wichtigsten botanischen Werke wie das Herbarum vivae eicones von Otto Brunfels, das Werk De historia stirpium (bzw. dessen Fortsetzung) von Leonhart Fuchs und Gessners unvollendete Historia plantarum vorgesehen waren, bezeugen umfangreiche Briefwechsel der Botaniker und Ärzte den wissenschaftlichen Gebrauch solcher Herbare. So liehen Platter und der Basler Arzt Johannes Bauhin Conrad Gessner (dessen Herbar heute verloren ist) auf dessen Bitten hin ihre Herbare oder Teile davon nach Zürich aus; sie erhielten sie indes zu Lebzeiten Gessners nicht mehr zurück.2 Die Beschriftungen (hauptsächlich die Namen, seltener ihr Herkunftsort) sind von der Hand Platters selbst, andere von seinem Halbbruder Thomas, von Caspar Bauhin und schliesslich vom Berner Pfarrer und Naturforscher Jakob Samuel Wyttenbach (1748 –1830), der in den Besitz des Herbars gelangt war. Die Geschichte seiner neuerlichen Auffindung auf dem Dachboden des Botanischen Instituts in Bern durch Walther Rytz 1933 und zweier Bände in der Universitätsbibliothek Amsterdam erst im Jahr 2012 durch Florike Egmond mutet abenteuerlich an. Das vorbildlich dokumentierte Buch enthält zwei Kapitel zu Platters Leben und zur Geschichte der Botanik und der Herbarien allgemein, dann ein drittes Kapitel über das Herbar Platters, alles in Koautorschaft verfasst von Lea Dauwalder und Luc Lienhard, im letzten, 5. Kapitel sind der Erhaltungszustand der Herbarbände und die Schäden an den fragilen Pflanzen beschrieben sowie die konservatorischen Erhaltungsmassnahmen. Es fusst auf der Masterthesis Lea Dauwalders (Hochschule der Künste, Bern). Den Hauptteil des Bandes (S. 53 –193) füllen 112 ganzseitige Farbabbildungen: Auf 14 Doppelseiten ist jeweils eine Achtergruppe der Blätter wissenschaftlich kommentiert und vom Biologen und Wissenschaftshistoriker Luc Lienhard botanisch identifiziert. Wer Lust hat, jener Abteilung von Platters Wunderkammer, die sich heute in Bern befindet, einen virtuellen Besuch abzustatten, kann über die Website der Burgerbibliothek das Herbar öffnen und in den Bänden blättern. Es ist inzwischen vollständig digitalisiert: https://platter.burgerbib.ch/ (Andere Objekte der einstigen Sammlung befinden sich in Basel, im Historischen Museum Basel/Museum für Geschichte und im Naturhistorischen Museum Basel.) Das Buch wurde jüngst mit dem Deutschen Gartenbuchpreis ausgezeichnet.

1 Leu, Urs: Conrad Gessner (1516 –1565). Universalgelehrter und Naturforscher der Renaissance. Zürich 2016, 280.
2 Ebd., 280 – 282.

Zitierweise:
Dorothee Rippmann: Rezension zu: Burgerbibliothek Bern (Hrsg.); Dauwalder, Lea; Lienhard, Luc: Das Herbarium des Felix Platter. Die älteste wissenschaftliche Pflanzensammlung der Schweiz. Bern: Haupt 2016. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 79 Nr. 2, 2017, S. 86-88.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 79 Nr. 2, 2017, S. 86-88.

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